Was die Digitalisierung mit unserer Psyche macht
Die digitale Revolution durchdringt immer mehr Lebensbereiche, wir werden künftig immer mehr Zeit vor Displays verbringen und die Künstliche Intelligenz wird unser Mindset verändern. Das hat nicht nur Vorteile. In der Folge werden auch immer mehr Menschen von neuen Süchten und Neurosen betroffen sein.
Der Münchner Psychologe und Psychotherapeut Johannes Hepp zeigt in seiner fundierten Analyse, was uns im Zuge der rasant zunehmenden Digitalisierung neurotisch werden lässt, welche Gründe dafür verantwortlich sind, wie wir uns dieser Entwicklung bewusst werden und wie wir gegensteuern können. Aufgeteilt in die drei Teile Liebe, Arbeit und Sinn stellt Hepp dazu 21 Neurosen des 21. Jahrhunderts vor, zum Beispiel Profilierungsdrang, Bewertungszwänge, Einzigartigkeitszwänge, Vollkommenheitsstreben und ausgeprägte Selbstbezogenheit. Damit der moderne »Homo Digitalis« diesen Tendenzen entgegenwirken kann, liefert der Autor mit diesem Hörbuch eine wichtige reflektierte Auseinandersetzung und hilft dabei, Resilienz gegenüber den automatisierten digitalen Manipulationsmöglichkeiten in Internet, Smartphone und Co. zu entwickeln.
Es ist ein sehr interessanter Gedanke ,das Konfliktverständnis aus der Theorie über psychische Probleme auf den oft unreflektiert ausgelieferten Menschen gegenüber der digitalen Welt anzuwenden.
Natürlich ist die digitale Welt zunächst verlockend, schleichend allgegenwärtig. Sie hat uns im Beruf und immer mehr im Alltag. Sie gehört zum Leben ; und kann deshalb, versucht der Autor aufzuzeigen , zu großen Schwierigkeiten, zu Abhängigkeiten zu Entfremdungen führen..
An 21 Konfliktfeldern, also durch eine ziemlich umfassende Beschreibung des menschlichen Handelns und Fühlens, kann der Autor mit eindrucksvollen Beispielen diese Problematik darstellen. Ich denke ,dass jeder ehrliche Leser sich in vielen Bereichen angesprochen fühlen muß .Der Autor bemüht sich dabei mit einer klugen Einteilung die Probleme aus drei umfassenden Bereichen : Zusammenleben ,Arbeit und Sinngebung zunächst darzustellen , dann nochmal deutlich ihre Problematik anzusprechen (warum macht dies und das neurotisch ) und auch anzubieten, ob es Wege zur Veränderung gibt (was können wir dagegen tun) .
Beeindruckt bin ich von der gründlichen Recherche des Autors mit Internet ,in der Literatur und natürlich in seinem Fachgebiet (Psychotherapie).
Viele werden beim Lesen denken , das hab ich ja auch schon mal so gedacht. Aber in der Gründlichkeit, in der klugen Einordnung, ist es immer wieder überraschend ,wie deutlich die Probleme aufgezeigt werden und wie wichtig es geworden ist , kritisch mit diesen Wahrnehmungen umzugehen . Neu und in ihrer Problematik erschütternd war für mich die gezeigte Problematik der digitalen Kontaktaufnahme des kontaktsuchenden Menschen, erschütternd fand ich die Darstellung der Ermöglichung ungezügelten sozialen Aggression sowie die Einladung die digitale Welt zur Zerstörung von Einzelnen und der Gesellschaft im Ganzen aufzuzeigen Das ist dem Autoreindrucksvoll gelungen. Für ganz wichtig erlebe ich auch seine Reflexion zu den digital ausufernder Lügen (Falschnachrichten) .
Lobenswert ist der gelassene immer faire , sehr unterhaltsame und klarer Stil des Autors. Kann das faszinierende inhaltsreiche Buch nur jedem wachen Kopf empfehlen besonders hilfreich ist es für die, die verstehen wollen, warum sie anfangen sich aus einer sinnloser gewordenen Welt zurückzuziehen.
Dr. Bernd Horn, Villach
Wie werden wir resilienter gegenüber Gegenwartsneurosen im digitslen 21. Jahrhundert?
Bewertung am 15.09.2022
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Der Psychotherapeut Johannes Hepp skizziert in seinem Buch "Die Psyche des Homo Digitalis" die zunehmende digitale Durchdringung und Vereinnahmung unseres Alltagslebens und deren Auswirkungen auf unsere Psyche.
Aufgeteilt in drei Teile "Liebe, Arbeit und Sinn" spannt das Werk einen weiten Bogen von Internetsucht, Selbstoptimierungszwang, Datingneurose, FOMO, Winner-Take-The-Most-Ökonomie, Erziehungswettstreit, bis hin zur desintegrativen Neurose im Alter (Verbitterung).
Als Babyboomer und Vater zweier Kinder im Twen-Alter musste ich das Buch v.a. im ersten Teil oft zur Seite legen und über das Gelesene nachdenken. Nicht selten fühlte ich mich ertappt und gezwungen, meinen Neurosen ins Auge zu sehen und mein eigenes Handeln zu reflektieren. Bringt FOMO ("Fear of missing out") und die ständige Jagd nach Neuem nicht zwangsläufig Frustrationen mit sich? Bin ich im Sinne von Freud noch "Herr im eigenen Haus?", bin ich also noch mündiger Nutzer der digitalen Möglichkeiten oder werde ich längst benutzt? (BUMMER, Behaviors of Users Modified...).
Ich erlebe, wie meine Kinder die digitalen Möglichkeiten zwar selbstverständlich nutzen, aber zunehmend mit den negativen Auswirkungen auf ihr Seelenleben konfrontiert werden:
Das Dilemma: Mitmachen oder Teilhabe verlieren. Aufgemotzte (gefakete?) Profile als glitzernder Schutzwall gegen Komplexe. Die Adelung des Angebers. Vergleichssüchte. Verliebtsein ins Verliebtsein. Und täglich bläst der Shitstorm.
Mich hat der Autor jedenfalls "voll abgeholt" mit seinen originellen, scharfsinnigen und oft auch humorvollen Gedanken. Das Buch liest sich flüssig und fesselnd. Der Autor untermauert seine Thesen mit Beispielen aus der psychotherapeutischen Praxis und eigenen Erfahrungen (Johanns 4.0 experience). Am Ende jeden Kapitels wird nach einer Zusammenfassung gefragt: Was können wir dagegen tun?
Jedes Kapitel steht für sich und lädt zu einer Debatte ein. Beispielsweise würde ich gerne einmal in einer großen Tageszeitung einen so differenzierten Artikel über den allseits gehypeten Genetiker David A. Sinclair ("Das Ende des Alterns") lesen (Kapitel 20//Altern).
Am Ende schafft es der Autor uns nicht mit dystopischen, apokalyptischen Fantasien zurückzulassen, sondern zeigt auf, wie wir unsere Resilienz gegenüber den neuen Einflüssen stärken und Wege aus den neuartigen Süchten und Netzneurosen finden können.
Ganz im Sinne von Forrest Gump (Dumm ist, wer Dummes tut") und frei nach Johannes Hepp: "Neurotisch ist, wer neurotisch bleibt" (Seite 33).
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