Was wäre, wenn es ein jüdisches Schtetl gäbe, das vom Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust verschont geblieben ist?
Kreskol liegt tief im polnischen Urwald und blieb jahrzehntelang unberührt und unverändert – ohne Autos, Strom, Sanitäranlagen und Internet. Doch dann gerät ein Ehestreit außer Kontrolle: Pescha Lindauer verlässt ihren Mann und verschwindet plötzlich. Einen Tag später verschwindet auch ihr möglicherweise gewalttätiger Mann. Die Ältesten schicken den Außenseiter Jankel Lewinkopf los, um beide zu suchen und die Behörden zu alarmieren.
Jankel begegnet der Schönheit und den Schrecken der modernen Welt – und wird zuerst für verrückt gehalten. Als die Wahrheit ans Licht kommt, sorgen seine Geschichte und die Existenz von Kreskol landesweit für Schlagzeilen.
Und die Stadt stürzt schlagartig ins 21. Jahrhundert.
Kreskol ist ein verschlafenes, kleines jüdisches Städtchen mitten im polnischen Wald. Jahrzehntelang blieb alles unverändert. Kein Strom, kein fließendes Wasser, kein Internet. Vergessen vom Rest der Welt. Als ein Ehestreit dazu führt, dass Pescha Lindauer die Stadt verlässt und kurz darauf auch ihr Ehemann verschwindet, wird Jankel Lewinkopf, ein Außenseiter, damit beauftragt, sie zu suchen. Er macht sich auf den Weg und landet plötzlich mitten in der modernen Welt. Diese glaubt ihm natürlich nicht, dass es ein polnisches Städtchen gibt, dass von allem Bösen verschont wurde. Und so wird Jankel in die psychiatrische Klinik eingewiesen, bis ihm dort endlich Glauben geschenkt wird. Die Wahrheit kommt ans Licht und schickt Kreskol sofort ins 21. Jahrhundert. Samt der Geschichte über Holocaust, Krieg und Verbrechen.
Bevor ich anfing, das Buch zu lesen, habe ich mir ernsthaft vorgestellt, wie es wohl sein kann, dass man eine ganze Stadt einfach vergisst. Als wäre sie von der Landkarte gelöscht und eingestampft worden. Der Autor hat sich hierfür jedoch eine sehr gute Lösung einfallen lassen und ich muss mir eingestehen, dass es so vielleicht auch wirklich hätte passieren können.
Kreskol ist eine kleine Stadt, nur bewohnt von jüdischen Mitbürgern. Sie leben ihr Leben wie im 18. Jahrhundert. Es gibt keine befestigten Straßen, keinen Strom, kein fließendes Wasser, geschweige denn Fernseher, Handy oder Internet.
Das Städtchen versorgt sich selbst über ihre Bauern und Handwerker und falls mal etwas von außerhalb benötigt wird, gibt es die Roma, die seit jeher mit ihren pferdegezogenen Holzwägen den Weg nach Kreskol finden. Diese sind jedoch froh, wenn sie etwas verkaufen können und sind auch gleich wieder weg. Da man sich eh nur über weniges unterhalten kann (aufgrund der Sprachbarriere), macht sich keiner Gedanken über den anderen.
Als es zu einem Ehestreit kommt und Pescha Lindauer die Stadt in einer Nacht- und Nebelaktion verlässt, folgt ihr ihr verärgerter Ehemann und verschwindet ebenfalls. Für die Einwohner von Kreskol ist dies ein No-Go und so schicken sie Jankel Lewinkopf, der eh ein Außenseiter ist und sein Verlust verschmerzt werden kann, sie zu suchen.
Jankel tut dies und findet sich plötzlich in einer Welt wieder, die er so nicht kennt.
Sich bewegende Eisenkarren, bewegte Bilder in einem Rahmen, kleine Kästchen, in die man reinsprechen kann und vor allem ist alles laut, schnell und bunt.
Es ist unvorstellbar, was Jankel wohl alles mitmachen muss. Aber er nimmt es erstaunlich gelassen hin. Auch, als er in eine Klinik eingewiesen und für verrückt erklärt wird. Im Gegenteil, er ist es, der alle anderen als verrückt hinstellt, weil er einfach nicht glauben kann, was er erzählt bekommt.
In dem Buch geht es darum, wie Kreskol plötzlich in den Mittelpunkt des Weltinteresses tritt. Es kommt zu weitreichenden Veränderungen, nicht nur im Stadtbild, sondern auch bei den Einwohnern. Dies wird in einem Strang des Buches erzählt.
Der zweite Strang handelt von Jankel und Pescha, die nun ein Leben außerhalb von Kreskol führen müssen. Es wird erzählt, wie sie es schaffen, sich zurechtzufinden, ein neues Leben aufzubauen und mit der Vergangenheit abzuschließen.
Dieses "Was-wäre-wenn" wird so schön ausgeschmückt und die ganzen Charaktere, die die Geschichte zu etwas Besonderem machen, tragen dazu bei, dass man fast glauben könnte, dass dies alles so geschehen ist. Man will das kleine Kreskol wieder aus der Fame-Zone rausbringen, so dass alle ihre Ruhe haben und ihr gewohntes Leben vor den 15-Minuten-Ruhm wieder aufnehmen können.
Aber es kommt alles anders, als gedacht und ich hatte sehr viel Spaß beim Lesen. Alles ist herrlich überzogen, unrealistisch und doch wieder voller Logik und Wahrheit. Der Autor hat es geschafft, ein Bild zu kreieren, welches man sich realistisch vorstellen kann. Auch der angenehme Schreibstil führt dazu, dass man förmlich durch die Geschichte fliegt.
Meggies Fussnote:
Ein kleines Städtchen kommt groß raus.
Ein Ort, vergessen, aus der Zeit gefallen, wird ins 21. Jhdt geschubst! Köstlich!
MarcoL aus Füssen am 20.10.2024
Bewertungsnummer: 2320913
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Hat jemand schon von Kreskol gehört? Nein? Das ist ja auch nicht verwunderlich. Die Stadt wurde einfach vergessen. 2000 Einwohner, circa, denn genau erfasst sind sie nie geworden, leben dort, eingepfercht in einem großen urwüchsigen Wald in Polen. Das machen die nun seit etwa einhundert Jahren so. Außer ein paar Roma ein bis zweimal pro Jahr kommt dort niemand vorbei. Und keiner verlässt das Schtetl. Ja, ein Schtetl, eine jüdische Enklave, die äußerst friedlich und abgeschieden von Rest der Welt ihr Dasein zelebriert. Obwohl, friedlich … fast. Gibt es doch schon die ein oder anderen Scharmützel und Streitigkeiten. Ist ja menschlich, dass man sich nicht immer einer Meinung ist, oder? Und dann noch ein frisch vermähltes Paar. Pescha und Ismael. Eigentlich wollten sie ja gar nicht so recht. Haben dann aber doch. Und Pescha wollte am Tag der Trauzeremonie gar nicht mehr. Pescha ist äußerst unglücklich mit Ismael. Umgekehrt auch, vielleicht auch aus anderen Gründen. Beschwichtigungen und Vermittlungen zum Trotz vom Rabbi und anderen einflussreichen Persönlichkeiten gibt es zwischen den beiden keinen Frieden.
Kurzum: Pescha verschwindet. Und kurz darauf Ismael. Die Gerüchteküche brodelt über, weil schon seltsam das alles. Schnell wird in den überschäumenden Fantasien klar, dass ein Verbrechen verübt worden sein muss. Aufklären im Schtetl? Ein Ding der Unmöglichkeit. Also muss Hilfe von außen her. Aber wie? Es gibt keine Kontakte zum Rest der Welt.
Und so wurde entschieden, den armen Jankel Lewinkopf, der innerhalb seiner sehr großen Familie nur hin und her geschubst wird und keinen Platz in der Gesellschaft zu haben scheint, damit beauftragt, 60 km in die nächste Stadt zu pilgern und zur Polizei zu gehen. Ausgestattet mit etwas Proviant und einer Handvoll alter Münzen, die in Polen keinen Wert mehr haben, keine Kenntnisse der Polnischen Sprache (denn es wird im Schtetl seit je her nur Jiddisch gesprochen) wird er los geschickt, und wart nach drei Tagen vergessen.
Für Jankel beginnt das Abenteuer seines Lebens.
Er schafft es, ohne von wilden Tieren, Wölfen oder Bären oder Schlimmeren, man weiß es nicht genau, gefressen zu werden (die Ansichten im Schtetl sind und waren sehr naiv) in die nächste Stadt. Er schafft auch noch viel mehr. Monate später kommt er zurück – als Passagier in einem Hubschrauber. Das Schtetl wird wiederentdeckt, und soll nun an den Staat angegliedert werden. Hier wird es richtig amüsant, weil niemand weiß, was sich in den letzten hundert Jahren getan hat. Nichts vom technischen Fortschritt, und nichts vom Zweiten Großen Krieg, der so vielen Juden und Menschen das Leben kostete. Und auch nichts von einem Staat Israel … mit einem Tritt werden alle in die Jetztzeit gestoßen …
Und dann gibt es noch die Geschichte von Pescha, und Jankel, und wie es weitergeht … aber das alles wird hier nicht verraten.
Den Roman beherrscht eine wunderherrliche Tragikomik, die aus einem Was-Wäre-Wenn-Szenario ein absolut realistisches Setting erzeugt. Die Figuren und Protagonist:Innen sind sehr lebensecht gezeichnet. Man fühlt die Lebensunzufriedenheit von Pescha, die Verunsicherungen von Jankel, dem nebenbei eine große Portion an Gleichmut wie Naivität innewohnt – und der schwer geprüft wird. Man muss ihn einfach mögen, und für all die anderen bringt man ebenfalls gerne Verständnis auf.
Sprachlich brillant, mit dem nötigen Humor gewürzt kommt man an und ab nicht daran vorbei, sich in dieses Schtetl zu wünschen, das von allem Unbill der Welt verschont wurde.
Ganz große Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman.
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